Ramin Massah, Gründer von NANO Kaffee, in der neuen Rösterei in der Charlottenstraße in Berlin.

Im Januar 2024 haben wir Ramin Massah, Gründer von NANO Kaffee, in den neuen, noch leer stehenden Räumen seiner Rösterei besucht. Der neue Raum in der Charlottenstraße, im Herzen Berlins, ist für NANO ein Gamechanger. Warum? Das hat uns Ramin bei einem Kaffee ausführlich erläutert.

Das Interview zeigt, wie Gemeinwohl-Ökonomie im Kaffee-Business funktionieren kann, dass Fairtrade nicht der Weisheit letzter Schluss ist und warum es so wichtig ist, dass wir Kaffee wieder als ein Luxus-Gut verstehen.


Lesezeit ca. 16 Minuten

Kaffee ist die Droge des Kapitalismus

gutes MATERIAL
Lieber Ramin, wie bist du zum Kaffee gekommen? Warum Kaffee?

Ramin Massah 
Zum Kaffee bin ich durchs Trinken gekommen. Seitdem ich Kaffee trinke, ist Kaffee eine Leidenschaft. Ich habe keinen Perfektionismus daran betrieben, aber ich habe schon immer gemerkt, dass es in der Zubereitung sehr große Unterschiede gibt. Wie ich meine Espresso-Kanne auf den Herd stelle, wieviel Kaffee ich hinein tue und welchen Kaffee ich kaufe – Ich habe das nicht wissenschaftlich analysiert, aber es war trotzdem immer eine wichtige Sache in meinem Leben.

Außerdem habe ich Kindheitserinnerungen daran, wenn meine Mutter Kaffee getrunken hat – dieser Duft! Und jetzt produziere ich Kaffee und setze mich beruflich mit dem Thema auseinander. Die Idee dazu kam, als ich 2008 das erste Mal Vater wurde und für meine Sohn zwölf Monate Elternzeit genommen habe.

Davor habe ich als Tischler gearbeitet, eine eigene Werkstatt gehabt und wollte mich nach dieser Auszeit eigentlich mit der Werkstatt vergrößern. Das war 2008, da gab es keinen guten Kaffee. Es gab schon Specialty Coffee, zum Beispiel bei Bonanza in der Oderberger Straße. Die haben dort ihren ersten Laden aufgemacht. Aber das war es dann auch schon. Sonst gab es nichts. Nur die italienischen Cafés und davon eigentlich auch nur zwei in ganz Berlin. Wenn ich da hingehe, egal wer gerade arbeitet, da kommt immer dasselbe Produkt in meine Tasse und es schmeckt immer gleich. Egal woher der Kaffee kommt. Das liegt ganz klar an der Zubereitung.

Das, was du in der Tasse findest, ist abhängig vom Handwerk, also von den Handgriffen und der Erfahrung der Leute, die an der Kaffeemaschine stehen. Und natürlich von der Sorgfalt der Betreiber. Wie sehr fokussiere ich mich als Betreiber auf das Thema Kaffee? Weiß ich was wichtig ist bei der Kaffeezubereitung? Das wusste ich damals alles noch nicht. Ich dachte: Das kann doch nicht so schwer sein aus einer Bohne irgendwie guten Kaffee, also wirklich konstant immer gleiche Cappuccini, rauszuhauen. Das ist doch keine Zauberei! Da ist ein Rohstoff und den verarbeite ich. Und da kommt es dann darauf an, was ich draufhabe. Davon hängt ab, wie das Ergebnis ist. Das ist genauso wie im Handwerk. Man kann aus dem schönsten Holz Mist bauen und oder etwas ganz Tolles. Aber man kann auch aus einfachem Holz was Schönes bauen. Es kommt immer darauf an, wieviel Erfahrung der Handwerker hat.

Ich habe also diese zwölf Monate damit verbracht, mich genau damit zu beschäftigen. Und mit der Frage: Wie wäre es, ein Cafe zu eröffnen? Ich hab´ mich da richtig reingehangen, mir damit meine Zeit vertrieben und mir gedacht, ich verfolgt das jetzt einfach weiter, bis eine Hürde kommt, die ich nicht nehmen möchte. Und dann habe ich Anfang 2010 das erste Cafe eröffnet.

gM
Aber erst 2014 hast du das NANO Cafe eröffnet?

Ramin 
Genau.

gM
Der Begriff NANO kommt aus dem Griechischen und bedeutet Zwerg. Warum hast du deinen Kaffee NANO genannt?

Ramin 
Da gibt es zwei verschiedene Geschichten. Ich kann einmal die Wahrheit teilen oder …

gM
Ja bitte die Wahrheit. (alle lachen)

Kaffee ist Luxus, Kaffee muss sozialen und ökologischen Mehrwert schaffen.

Ramin 
Man kann in NANO viel rein interpretieren und das ist es, was mir gefällt. Ich habe lange nach einem Namen gesucht, der international verständlich, aber nicht englisch ist. Etwas, das sich nicht gleich auf Kaffee bezieht. Und dann habe ich etwas ganz nahe liegendes gemacht: Ich habe einfach die Anfangsbuchstaben der Namen meiner Söhne genommen und geguckt, was kommt dabei raus. Und dann kam ein Name raus, erst Nona, dann Nano. NANO hat auch was technisches. Es ging mir nicht um das Kleinteilige. Das kann man natürlich auch so sehen, weil die vielen kleinen Dinge, die Details, das Gesamte ergeben. Das ist natürlich auch total zutreffend. 

gM
Auf eurer Webseite startet ihr mit der Formulierung: Kaffee ist Luxus, Kaffee muss sozialen und ökologischen Mehrwert schaffen. Was verbirgt sich für dich dahinter? 

Ramin 
Das ist noch gar nicht so lange der erste Eyecatcher auf der Landingpage. Es ist ein bisschen gewagt, weil es vielleicht erst mal abschreckend ist und bei den Konsumenten einen bestimmten Preis rechtfertigen will. Aber es geht darum, Aufmerksamkeit zu bekommen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Kaffee reinster Luxus ist. Kaffee ist kein Lebensmittel. Kaffee ist ein Genussmittel und das müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Ich brauche den Kaffee nicht, um gesund zu leben. Das heißt, ich gönne mir etwas mit jeder Tasse Kaffee. Und wenn ich so konsumiere, wenn ich mir dessen bewusst bin, dann schaue ich eben auch darauf, was das am Ende bewirkt.

Das ist ein Wachrütteln. Es geht hier um ein Luxusprodukt. Ein Produkt, von dem Millionen von Existenzen abhängen in den Ursprungsländern, die davon nicht wirklich leben können und wir trinken oder konsumieren dieses Produkt, als würde es das im Überfluss geben. Als wäre das selbstverständlich. Und es ist nicht selbstverständlich. Der Luxus ist, dass wir Kaffee trinken können. Aber wenn wir dieses Luxusprodukt konsumieren, dann muss es einen Mehrwert haben. Das muss eine Auswirkung haben. Das kann nicht einfach nur Spaß sein. Dieser Luxus bedeutet in den meisten Fällen, dass jemand anderes Schaden nimmt.

95 % des Kaffees, der heute getrunken wird, schaden der Umwelt und den Menschen, die ihn anbauen. Das muss uns klar sein. Wenn ich günstig Kaffee einkaufe, wenn ich für zehn Euro ein Kilo Espresso kaufe, dann zahlt irgendjemand den Rest der Rechnung. Die Produzenten sind am Ende diejenigen, die am wenigsten davon haben. Für alles, was wir hier nicht bezahlen, bezahlt jemand anderes.

gM
Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum du dein Unternehmen der Gemeinwohl-Ökonomie verschrieben und das Mitgliedsversprechen von EcoGood unterzeichnet hast. Was bedeutet das für eure tägliche Arbeit?

Ramin 
Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Verein, der sagt, wir wollen anders wirtschaften. Wir wollen darauf schauen, dass es nicht um den maximalen Profit um jeden Preis geht. Natürlich müssen wir profitabel arbeiten. Wir sind Teil eines kapitalistischen Systems, wir müssen, das geht nicht anders. Aber wir können uns die Frage stellen: Was machen wir mit dem Geld? Geht es um immer mehr, mehr und mehr und um möglichst schnelles Wachstum? Gemeinwohl-Ökonomie bedeutet, dass wir uns bei jedem Einkauf oder bei jeder Anstellung, bei jedem Dienstleister genau überlegen: Brauchen wir das jetzt? Ist das jetzt ein wichtiger Schritt? Ist das eine wichtige Dienstleistung? Aber nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch nach ethischen, ökologischen und sozialen Gesichtspunkten. Auch die Frage: Wie stelle ich das Personal an? Wie bezahle ich das Personal? Gemeinwohl steckt in jedem Detail, egal ob ich Papier kaufe, Labels drucke oder Tüten bestelle.

Das geht alles günstiger, als wir es tun. Aber es muss aus unserer Sicht einen positiven Effekt haben. Und das ist nicht so einfach, weil wir in vielen Bereichen nicht die Nachhaltigkeit bekommen, die wir uns wünschen. Das heißt, wir müssen sehr oft Kompromisse eingehen, aber Nachhaltigkeit ist das Ziel und wir achten darauf, so gut wir können. Wir haben ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie das Gemeinwohl durch unsere Arbeit profitiert. Das ist ein Grund, warum wir Ökostrom und Ökogas beziehen, obwohl das teurer ist. Wir tun das nicht, weil wir uns damit schmücken wollen. Wir haben unsere Anbieter gut recherchiert und darauf geachtet, dass die auch gemeinwohlorientiert arbeiten. Dadurch kann sich eine Kettenreaktion ergeben.

95 % des Kaffees, der heute getrunken wird, schadet der Umwelt und den Menschen, die ihn anbauen.

gM
Ist dieser Ansatz oder der Fokus auf die Wichtigkeit dieser Thematik mit dem Thema Kaffee gewachsen oder hast du schon immer Wert darauf gelegt? Haben die schlechten Umstände, aus denen Kaffee oft kommt das Thema Gemeinwohl für dich nach vorne geschoben?

Ramin 
Ja. Da muss ich jetzt nochmal zurück in die Vergangenheit gehen. Das Ganze hat auch was mit meiner Persönlichkeit zu tun, damit, wie ich aufgewachsen bin und wie ich erzogen wurde. Wie ich auf dieses Thema blicke, ist keine Marketingmasche, sondern das ist ganz natürlich in mir drin. Das heißt, ich kann nichts tun, wo ich nicht zu 100 % dahinter stehe. Ich möchte nichts tun, wodurch ein anderer Mensch leidet. Und ich möchte auch nicht davon profitieren, auch nicht monetär, dass irgendjemand leidet. Ich möchte niemanden durch mein Handeln ausbeuten. Als ich angefangen habe, mich mit Kaffee auseinanderzusetzen, wurde das ganz schnell ganz klar. Einerseits ging es mir um die Zubereitung, also wie kriege ich den perfekten Cappuccino in die Tasse. Das ist was technisches, handwerkliches. Anderseits stellt sich die Frage, wo kommt der Kaffee her? Und als ich dann diese große Welt – die für die meisten Menschen ein Mysterium ist, von der die meisten Konsumenten nichts wissen – als sich mir diese Welt offenbarte, wurde mir sehr schnell klar, was da alles dranhängt.

Viele erzählen, sie kennen die Farmer. Aber was passiert in der Produktion eigentlich? Durch diese neue Transparenz, die auch mit der Specialty Coffee Szene kam, dachte ich: Das ist ja wirklich eine super geile Sache. Weil halt einfach auf Kommunikation und Transparenz gesetzt wird. Das ist genau das, was ich wissen möchte: Wo wurde das Produkt, mit dem ich jetzt hier arbeite und Geld verdiene, produziert? Und da passt die Gemeinwohl-Ökonomie wie die Faust auf´s Auge. Das passt genau auf meine Werte.

Wir bewegen wir uns mit dem Produkt Kaffee in einem Extrem. Kaffee ist DIE Droge des Kapitalismus. Das ist einer der Rohstoffe, mit dem das kapitalistische System so richtig Schub bekommen hat und der wirklich eingesetzt wurde, um sehr viel Geld zu machen und sehr viele Menschen auszubeuten. Und gleichzeitig schafft es der Kapitalismus mit dieser Droge, noch mehr zu produzieren. Kaffee macht produktiver. Da muss man ganz genau hinschauen.

Das System, in dem wir hier wirtschaften, macht es einem sehr schwer, wenn man die Dinge anders machen möchte. Vieles ist so tief verankert, sitzt so tief und meine persönlichen Werte, die kann ich gar nicht so leben, wie ich gern möchte. Aber ich möchte trotzdem in diesem Systems etwas bewirken und  zeigen, dass es anders geht. Und es gibt im Kaffeebereich ganz viele Möglichkeiten, Dinge anders zu machen.

Kaffee ist ein margenstarkes Produkt mit dem wir viel bewegen können. Es wird viel Kaffee konsumiert und er ist nach Erdöl der meist gehandelte Rohstoff der Welt und wird im großen Stil auf Kosten von Millionen Menschen produziert. 

gM
Wonach wählt ihr eure Rohstoffe aus? Wie geht ihr bei der Auswahl der Kaffeebohnen vor?

Ramin 
Unsere Kaffees sind eigentlich alle Bio zertifiziert. Wir ziehen ja mit der Rösterei gerade an den neuen Standort um. Das bereiten wir seit Sommer 2022 vor und in dem Zuge haben wir unsere Kaffees komplett auf Bio umgestellt. Dabei ging es uns nicht nur um die ausgewiesene Bio-Qualität, sondern auch um die Botschaft, um das Bewusstsein, und auch darum, unsere Zielgruppe zu erweitern. Es ist gar nicht so einfach, guten und gleichzeitig qualitativ hochwertigen Bio-Kaffee zu finden. Aber auch das wird immer besser.

Aktuell tragen unsere Kaffees das Bio-Siegel nicht, weil wir mit einem Dienstleister rösten, der nicht Bio zertifiziert ist. Aber wir werden hier am neuen Standort wieder bio zertifizierten Kaffee rösten. Da geht es uns um die Qualität und die Transparenz. Wir kaufen momentan bei kleinen Importeuren, die uns über die Herkunft des Kaffees so viel Informationsmaterial zur Verfügung stellen, wie es nur geht. Da geht es nicht nur um die botanische Varietät und die Qualität, sondern es geht auch darum, wie die Einkaufsverträge mit den Farmern und die Einkaufspreise sind. Also konkret: Wieviel Geld bleibt beim Farmer? Denn was die ganze Kaffeewelt bestimmt, ist der Börsenpreis – der Preis der Kaffeebörse und der Fairtrade-Preis. Der mit dem Fairtrade-Siegel richtet sich ja nach dem Börsenpreis.

Kaffee ist eine absolute Spekulationsware. … Es ist wichtig zu wissen, dass der Fairtrade-Preis sich nach den Spekulationen der Börse richtet.

gM
Was genau heißt das?

Ramin 
Das heißt, die schlagen eine Pauschale auf den Börsenpreis drauf und damit ist dann der Fairtrade-Preis gesetzt. Das wiederum heißt, der Fairtrade-Preis ist bedingt durch den Börsenpreis, der aber einfach nur Spekulation ist. Und da muss uns ganz klar sein, dass für einen Roh-Kaffee beim Farmer so viel hängenbleiben muss, dass eine Existenz möglich ist.

Vom Börsenpreis ist es nicht möglich zu existieren und da der Fairtrade-Preis sich nach dem Börsenpreis richtet, kann es eben auch sein, dass bei den Farmern nicht genug hängenbleibt, obwohl der Kaffee Fairtrade gehandelt wird. Außerdem wird nicht ausreichen geprüft, wo der Kaffee tatsächlich herkommt. Das läuft ganz anders als beim Bio-Siegel. Wir haben auch Kaffees, die tragen ein Fairtrade-Siegel. Das kannst du in die Tonne schmeißen! Ohne irgendwo registriert zu sein, dürfen wir das Siegel benutzen, einfach nur weil der Importeur sagt: Das ist Fairtrade. Es gibt gar keine Kontrollen. Da wird lediglich im Ursprungsland mal irgendwie dokumentiert, zu welchem Preis damals eingekauft wurde.

Die Roh-Kaffee-Einkäufer gehen zu den Produzenten, den Farmern oder Kooperativen, die häufig ihren Kaffee direkt nach der Ernte verkaufen müssen, weil sie keine Lagerflächen haben. Kaffee muss sofort nach der Ernte weiterverarbeitet, getrocknet und aufbereitet werden, sonst fängt er an zu gammeln. Einige Farmer arbeiten mit solchen Aufbereitungsanlagen, die meisten aber nicht. Wenn der Kaffee getrocknet ist, könnte er gelagert werden, aber da fehlen dann die Lagerplätze. Die braucht es, um warten zu können, bis der Marktpreis so hoch ist, dass der Kaffee im richtigen Moment verkauft werden kann. Nämlich dann, wenn der Börsenpreis hoch ist. Das heißt, Kaffee ist eine absolute Spekulationsware. Davon muss man sich lösen. Und es ist ganz wichtig zu wissen, dass sich der Fairtrade-Preis nach den Spekulationen der Börse richtet. Das ist ein Problem.

Da kommen die Großeinkäufer zu den Farmern und kaufen die ganze Ernte. 50 % zum Fairtrade-Preis und den Rest unter dem Börsenpreis, so dass sie im Schnitt vielleicht ein bisschen mehr als den Börsenpreis bezahlt haben. Aber dann können sie 50 % der Ernte, mit dem Siegel, teuer verkaufen. Bei den Farmern bleibt am Ende nichts. Die haben nichts davon. Und dass das so ist, ist ein offenes Geheimnis.

gM
Das klingt kompliziert. Wie wählt ihr eure Kaffees da aus?

Ramin 
Im ersten Schritt geht es um die Frage: Was wollen wir überhaupt? Wir suchen vor allem Kaffees, die möglichst vielen schmecken. Und da bewegen wir uns an einem Randbereich von der Masse, weil die meisten Menschen bevorzugen die süßen und und sehr dunkel gerösteten Kaffees. Und das ist auch total in Ordnung. In der Specialty-Szene wird Kaffee ja oft hell geröstet und muss fruchtig und reich an Säure sein. 

Wir suchen Kaffee, den möglichst viele Menschen mögen, weil wir dann mit unserer Arbeit auch am meisten bewegen können. Wir wollen uns an den Farmern und Produzenten orientieren. Also müssen wir immer schauen, wer hat was davon? Das heißt, wir wollen natürlich viel Kaffee, viel Volumen verkaufen. Aber es soll uns natürlich auch schmecken. Und es soll Spaß machen, soll nicht zu sehr herausfordernd sein. Und so suchen wir erstmal die verschiedenen Profile aus, die ein Kaffee mit sich bringt, die verschiedenen Varietäten und Herkunftsländer. Dann bestimmen wir unser Röst-Profil und schauen, wo wir den Roh-Kaffee herbekommen, der das ermöglicht. 

Die Roh-Kaffees suchen wir momentan bei verschiedenen Importeuren, die möglichst transparent arbeiten. Manchmal kaufen wir auch direkt bei einer Kooperative, die ein Büro in Deutschland oder in Europa hat. Unseren Kaffee aus Guatemala zum Beispiel haben wir direkt von der Kooperative bezogen. Es gibt auch Handelsplattformen, die es ermöglichen, direkten Kontakt zu kleinen Produzenten zu knüpfen. Da wird dann die ganze Logistik von dem Dienstleister abgewickelt, aber der Deal wird direkt mit dem Produzenten verhandelt.

gM
Wie diffizil! Das ist übrigens einer der Gründe, warum ich gutes Material mache. Ich liebe gute Produkte, aber ich könnte mich niemals so in ein Produkt vertiefen. Ich habe großen Respekt vor Menschen die das machen.

Ramin 
Das ist ein unerschöpfliches Thema. Gerade bei Kaffee kannst du ja in jedem Bereich etwas verändern. Welche Röstmaschine wird eingesetzt? Welche Person steht da und wie ist die bezahlt? Wie importiere ich den Kaffee? Wie kommt der Kaffee hierher? Mit dem Schiff? Mit welchem Frachtunternehmen? Nutzen die einen Segelfrachter? Du kannst überall Dinge verändern und das finde ich ganz wichtig. Mir geht mir nicht mehr nur um den Kaffee, sondern um das ganze Drumherum.

Wir konsumieren hier so, als würde es die andere Seite der Welt nicht geben, als würde es den Beginn der Wertschöpfungskette nicht geben. So geht das nicht! Denn die Kette ist sehr lang bei Kaffee. Es sind Existenzen davon abhängig, wie wir Kaffee trinken. Man kann so viele Dinge verändern und anders und besser machen. Das ist eine große Industrie und das ist das Spannende, was mich reizt: überall kann man Dinge modifizieren und verbessern. Es gibt immer Möglichkeiten. 

Wir suchen Kaffee, den möglichst viele Menschen mögen, weil wir dann mit unserer Arbeit auch am meisten bewegen können.

gM
NANO wird 2024 zehn Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch!

Ramin 
Danke.

gM
Hat sich das Unternehmen so entwickelt, wie du es dir vor zehn Jahren vorgestellt hast?

Ramin
Gar nicht. Nee! (alle lachen) Überhaupt nicht. Ich habe damals das NANO eröffnet als einen sehr abstrakten Raum für Kaffee. Für das Erleben der Komplexität der Kaffeewelt. Also ein begehbarer Raum für Kaffee. In dieser Zeit kam gerade Specialty Coffee auf, das heißt: wir waren Außerirdische. Es gab eine Handvoll Specialty Cafes und eins davon war NANO. Und das war polarisierend. Die Leute sind entweder sofort wieder rausgegangen oder sie haben es voll abgefeiert, weil es ganz klar ein anderes Konzept war. Wir haben die Leute an die Hand genommen und ihnen etwas gezeigt, von dem sie gar keine Ahnung hatten, aber glaubten, alles darüber zu wissen: Kaffee.

„Jeden Tag trinkst du Kaffee, aber du hast gar keine Ahnung. Und ich stelle mich deswegen nicht über dich, sondern ich nehme dich an die Hand. Wir heißen alle willkommen und wir nehmen dich an die Hand. Das hier ist keine Zauberei, aber guck mal, wie bunt die Welt ist.“

Das Konzept sollte natürlich wachrütteln. Du bist auch nicht in den Laden reingekommen und hast gleich die bekannte Einrichtung und Preistafel gesehen. Das war alles abstrakt. Die Leute haben oft gefragt: Hä? Was? Wie sieht euer Menü aus? Was ist denn das hier? Wo ist denn der Cappuccino? Das sollte provozieren, Fragen stellen. Es sollte Kommunikation provoziert werden. Das war wichtig. Ob das dann wirtschaftlich ist, also ob es möglich ist, damit Geld zu verdienen? Das war was anderes. Wie man sich das Leben selber schwer macht! (lacht) Das musste ich einfach lernen. Aber das war toll! Es hat polarisiert und das heißt, es gab auch gleich super viel Aufmerksamkeit.

Ich wollte mich mit diesem Konzept nur auf den Kaffee reduzieren. Ich wollte nicht die ganze Essensrutsche da hinten dran. Und alle so: Ramin, wenn du kein Essen verkaufst, verdienst du kein Geld! Und ich dachte mir: Mal gucken. Es gibt so eine große Vielfalt in der Kaffeewelt. Ich kann hier aus diesem Konzept auch eine Anlaufstelle machen für Kaffee und seine Vielfältigkeit. Und das hat ganz gut funktioniert. Das hat Aufsehen erregt, gerade in der Szene.

Anm. d. Red.: Das Nano Cafe schließt zu Ende März 2024. Im Fokus steht jetzt der Aufbau der NANO Rösterei am neuen Standort in der Charlottenstraße.

Ramin 
Die Rösterei ist jetzt eine neue Firma, eine reine Produktion. Das es so kommt, dass aus NANO eine Rösterei entsteht, hätte ich nicht gedacht. Wir hatten es zwischenzeitlich wirtschaftlich sehr schwer. So ist das halt, wenn man aufmuckt und Dinge anders macht. Das irritiert. Du kannst Dinge anders machen als andere und damit durch die Decke gehen. Oder du kannst Dinge anders machen als andere und daran zugrunde gehen. Du kannst Vieles anders machen und erntest Bewunderung und Wertschätzung, die aber nicht die Masse erreicht. Wir haben uns international einen Namen gemacht – als World of Coffee in Berlin war, kam die ganze Welt zum NANO Kaffee. Wir sind auf Listen drauf, wenn die Kaffee-Touristen kommen. Aber das ist halt nicht die Masse, sondern es sind Leute, die bewusster trinken und  konsumieren und wissen, wofür sie ihr Geld ausgeben. 

gM
Ihr verkauft euren Kaffee ja auch an die Gastronomie. Was muss ich als Gastro-Kunde wissen, wenn ich mit euren Produkten arbeiten möchte?

Ramin 
Also eigentlich musst du nichts wissen. Nichts Technisches. Du musst kein Fachwissen mitbringen, nur offen sein und Wert auf Kaffee legen. Wir produzieren hier ein Produkt mit hoher Transparenz und sehr viel Leidenschaft. Kaffee, der mit sehr viel Sorgfalt produziert und eingekauft wurde. Uns ist wichtig, das man nachvollziehen kann, wofür mehr Geld ausgegeben wird. Für uns ist es auch wichtig, dass der Kaffee sauber und korrekt zubereitet wird, weil da unser Name draufsteht. Dafür sorgen wir, indem wir die Leute trainieren. Wir schulen gerne die ganze Belegschaft durch, denn am Ende ist es wichtig, zu wissen, dass die Leute ein Bewusstsein dafür mitbringen müssen, dass sie dafür verantwortlich sind, was in der Tasse ist. Wir können nur das tolle Ausgangsprodukt liefern.

Aber dieses tolle Produkt bedeutet nicht, dass man automatisch einen tollen Kaffee hat, sondern da geht es um Wasserqualität, die Wahl der Mühle und so viel mehr. Die Maschine ist fast egal, aber Wasser und Mühle sind enorm wichtig. Und wie gut sind die Mitarbeitenden geschult? Das ist das A und O, aber das betrifft nicht nur NANO. Man kann den besten Kaffee kaufen, aber man kann so viel zerstören mit der Mühle und der Hygiene. Wie sauber ein Cafe arbeitet, sehe ich schon am verschmierten Trichter der Kaffeemühle. Es muss sauber gearbeitet werden mit dem Produkt. Es muss ein Bewusstsein der Wertschätzung da sein.

Wir produzieren nicht nur ein Produkt, sondern wir produzieren ganz viel und eine Sache die wir produzieren, ist unser Portfolio an verschiedenen Kaffees.

gM
Gibt es in eurem Portfolio eine Sorte, bei der du sagen würdest, die beschreibt NANO am besten. Also all die ganzen Einblicke, die du uns gegeben hast – gibt es eine Kaffeesorten, bei der du sagst, die ist 100 % NANO?

Ramin 
Nee! (alle lachen) NANO ist das Ganze.

Okay, unser Blend vielleicht, der besteht aus zwei Komponenten und ist für die meisten Kunden leicht zugänglich. Das ist ein toller universeller Kaffee und trotzdem bringt er genug Komplexität mit. Das ist trotzdem schwierig zu sagen: Dafür steht das Produkt. Am Ende geht es um Vielfalt und um unser gesamtes Sortiment. Wir produzieren ja nicht nur ein Produkt, sondern wir produzieren ja Vieles und eine Sache die wir produzieren, ist unser Portfolio an verschiedenen Kaffees.

Wir produzieren ja auch noch andere Dinge. Und das ist Gemeinwohl. Ich mache das hier nicht nur des Kaffees wegen, sondern es geht auch darum, was zu verändern und das ist auch ein Produkt. Wir verändern zum Beispiel die Arbeitssituation in der Rösterei. Wir achten auf Umwelteinflüsse, also was kommt bei uns aus dem Schornstein raus? Wo beziehen wir unser Gas? Da fängt es an und dann geht es bis hin zum Ursprung des Kaffees. Und das ist alles ein Produkt, das gehört dazu. 

gM
Ich finde die Formulierung, dass ihr auch noch andere Sachen produziert, nämlich unter anderem Gemeinwohl, total spannend. Das öffnet ein ganz neues Feld, eine neue Perspektive.

Ramin 
Ja! Arbeitsplätze zum Beispiel, mit dem Produkt werden ja auch Arbeitsplätze geschaffen. Wir haben im Cafe eine geringe Fluktuation im Personal. Kollegen haben mich oft gefragt: Wie machst du das denn? Da habe ich mich gefragt, was sind eigentlich die Profits, im NANO zu arbeiten? 

Wir zahlen zusätzlich zum Mindestlohn ein paar Euro mehr pro Stunde und die Arbeitsatmosphäre muss gut sein. Bei uns gibt es auch keine Minijobber. Ich habe als Tischler eine Ausbildung in einem kleinen alten, traditionellen Familienbetrieb gemacht. Und da habe ich erfahren, wie das ist, Arbeitnehmer zu sein. Ich habe pünktlich mein Gehalt bekommen. Das war für das Handwerk etwas ganz Außergewöhnliches. Ich habe auch nie Überstunden machen müssen und ich hatte mein 13. Monatsgehalt. Dadurch kam meine Wertschätzung.

Und es gibt eine Wertschätzung, die du als Arbeitgeber auch deinen Mitarbeitenden zeigen kannst. Über eine Festanstellung zum Beispiel, mit der am Ende des Monats jeder ein festes Gehalt bekommt. Sehr untypisch für die Gastronomie. Langfristige Schichtplanung ist auch so ein Thema: Ich will wissen, wie ich die nächsten sechs Wochen arbeite. Wie sind meine Schichten? Die meisten Menschen arbeiten an unterschiedlichen Tagen zu unterschiedlichen Zeiten. Und du willst ja trotzdem Zahnarzttermine machen können. 

Das ist ein Produkt von dem Ganzen. Das ist etwas, was nicht abzukoppeln ist von dem, was du als Konsument wahrnimmst. Das ist ein Teil von NANO. Das ist mit in der Packung. Wenn du einen Kaffee trinkst, konsumierst du die Umstände, wie der Kaffee entstanden ist, mit. Das zu kommunizieren, bis in den Ursprung hinein, das ist eine Riesenaufgabe. Das kriegen wir auch nicht einfach so hin. Da müssen wir tief sitzende Strukturen aufbrechen. Das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich suche nach Wegen. Und was ich hier vor Ort machen kann, ist, mein Team fair zu beschäftigen und mir gut zu überlegen, wo ich Strom, Lebensmittel und Gas einkaufe und was ich für Toilettenpapier bestelle. Das sind alles Sachen, die kann ich direkt beeinflussen.

Wenn du einen Kaffee trinkst, konsumierst du die Umstände, wie der Kaffee entstanden ist, mit.

gM
Gibt es trotzdem einen Kaffee, den du als den NANO-Siganture-Kaffee bezeichnen würdest?

Ramin 
Vielleicht unser Topseller Pleasure, der ist wirklich das Produkt, mit dem man die Leute abholen kann. Ein bisschen dunkler geröstet, und leicht zugänglich. Aber ich würde, glaube ich, trotzdem eher auf den brasilianischen Kaffee tippen. Der Brasil bringt ein bisschen Frucht mit, von der Pflaume, aber im Vordergrund sind eher nussige Noten und Schokolade. Und du hast immer viel Körper und ein cremiges Mundgefühl. Das ist das, was die meisten Kaffeekonsumenten hier in Deutschland mit Kaffee verbinden. Der ist nicht zu aufregend. Den kann man als Espresso zubereiten, aber auch als Filterkaffee. Das ist wirklich ein guter Alltagskaffee.

Auch das Etikett steht eigentlich für NANO, denn dieses Gelb ist unsere Signature-Farbe. Und der Brasilianer, der hat dieses Gelb. Dieses Positive und Freundliche. 

gM
Ist das auch deine Lieblingssorte?

Ramin 
Das ist auf jeden Fall meine Alltagsorte. Das ist der Kaffee, den wir immer in unserem Coffee Shop ausschenken, neben einem anderen Espresso. 

gM
Ihr zieht mit der Rösterei hier an einen neuen Standort. Was sind eure Ziele für die Zukunft.

Ramin 
Also mit der Rösterei drehen wir an dem ganz großen Rad. (Ramin schmunzelt, alle lachen)

Die Rösterei gibt uns ganz neue Möglichkeiten. Erstmal mit dem super Standort – wir sind geografisch in der Mitte Berlins. Wir sind hier direkt zwischen Checkpoint Charlie und Jüdischem Museum. Hier gibt es nicht viel Laufkundschaft oder so, aber wir sind hier sehr präsent und mit den großen Schaufenstern sehr transparent. Das heißt, man kann bei uns reinschauen. Wir bringen die Rösterei aus dem Randbezirk in die Mitte und schaffen hier eine Möglichkeit, ein neues Publikum zu erreichen. Das ist aber nicht unser Hauptziel. Wir haben eine sehr viele höhere Kapazität, weitaus mehr, als wir jetzt gerade brauchen.

Das ist ein großer Schritt und wir werden hier vor allem besser. Wir wollen ja nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen möglichst viel Volumen machen, sondern wir brauchen ein großes Volumen, um eine Auswirkung zu spüren. Wir müssen Spielraum haben, um Dinge in der ganzen Wertschöpfungskette verändern zu können. Dafür braucht man Volumen und das erreichen wir dadurch, dass wir auch für andere Kaffee-Brands rösten werden.

Und es geht auch darum, Kaffee anders einzukaufen. Wir werden wieder ausschließlich Bio-Kaffee anbieten und wollen perspektivisch immer mit den gleichen Produzenten zusammenarbeiten. So dass wir auch vor Ort langfristig etwas verändern können. Genauso wie die Leute hier fest angestellt sind und es einen sicheren Rahmen gibt, sollen auch unsere Farmer wissen, wenn sie mit NANO zusammenarbeiten, sind die Abnahmemengen definiert, auch wenn die Ernte schwankt. Die Qualität der Ernten schwankt immer saisonal, deswegen picken sich die meisten Einkäufer nur die guten Anteile aus den Ernten raus und kaufen halt auch mal eine Ernte nicht, wenn die schlecht ist, obwohl sie immer mit diesem Farmer zusammengearbeitet haben. Für diesen Fall werden wir noch mindestens eine Marke launchen, die auch Kaffees verarbeitet, die durch die klimatischen Bedingungen nicht so gut ausgefallen sind. Wir wollen die Ernten trotzdem abnehmen und auch verarbeiten, damit die Farmer eine Sicherheit haben und nicht nur den Südhang verkauft bekommen.

Und dann gibt es natürlich diese Räumlichkeiten hier, die uns die Möglichkeit geben, Events zu machen. Barista-Schulungen, Sensorik- und Team-Trainings und vieles mehr. Das wird eine gläserne Rösterei, in der wir auch Kunden empfangen können und regelmäßig Showrösten stattfinden soll, damit die Leute ein bisschen tiefer eintauchen und wir das Thema Kaffee noch zugänglicher machen können.

gM
Lieber Ramin, vielen Dank für die vielen Einblicke und viel Erfolg mit der NANO Rösterei.


NANO KAFFEE – Ramin Massah

Rösterei
Charlottenstraße 1
10969 Berlin
Deutschland

Website
www.nano-kaffee.de

Mail
office@nano-kaffee.de

Instagram


Portrait- & Produktfoto Birgit Kaulfuß
Auswahl & Text Carolin Gennburg

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